Faktencheck: Sind Antihistaminika leistungssteigernde Medikamente?

Leistungssteigernde Medikamente

Sind Antihistaminika leistungssteigernde Medikamente?

Kurz gesagt: vielleicht. Oder anders ausgedrückt: Es ist nicht klar. Hier findest du mehr Informationen darüber, warum die Einnahme von Antihistaminika als Doping im Sport gilt und was dies für Sportler*innen bedeutet, egal ob sie an Wettkämpfen teilnehmen oder nur mit Heuschnupfen und saisonalen Allergien zu kämpfen haben.

Wegen der Einnahme von Antihistaminika gesperrte Athlet*innen

Vor 2014 waren sich nur wenige Profisportler*innen darüber im Klaren, dass sie wegen der Einnahme von Allergiemedikamenten des Dopings bezichtigt werden konnten. Dann fiel der Eishockeyspieler Nicklas Backstrom bei der letzten Dopingkontrolle der Olympischen Spiele in Sotschi durch, weil in seinem Körper ein verschreibungspflichtiges Antihistaminikum nachgewiesen wurde. Der gebürtige Schwede litt seit seinem Umzug nach Washington D.C., um für die Washington Capitals zu spielen, seit Jahren an saisonalen Allergien. Seine Geschichte bewegte viele Menschen, vor allem seine Leidensgenoss*innen, nämlich andere Allergiker*innen. Sie stellte auch das Wissen der Ärzt*innen über verbotene Substanzen in Frage(1).

Leider ist Nicklas Backstrom nicht der einzige Sportler, dessen Ärzt*innen ihm versehentlich ein verbotenes Asthma-Medikament verschrieben haben. Einem Artikel von Reuters zufolge verschrieben vier von fünf Ärzt*innen eine der verbotenen Formen von Kortikosteroiden. Viele Ärzt*innen wussten, dass die Sportler*innen die Medikamente nicht oral einnehmen durften, aber sie wussten nicht, dass auch Salben, Cremes, Injektionen und Inhalatoren nicht erlaubt waren.

Nicklas Backstroms Geschichte reichte aber nicht aus, um die gesamte Sportwelt für die Gefahren der Verwendung von Antihistaminika zur Behandlung von Allergien bei Sportler*innen zu sensibilisieren(2). Im Jahr 2016 wurde der Radprofi Simon Yates positiv auf ein verbotenes Antihistaminikum getestet. Er hatte ein verschreibungspflichtiges Allergiemittel eingenommen, das die chemische Substanz Terbutalin enthielt. Dabei handelt es sich um ein Muskelrelaxans für die Lunge, das bei einer allergischen Reaktion eingesetzt wird. Infolgedessen wurde er für vier Monate vom Sport ausgeschlossen und konnte sich nicht für die Tour de France qualifizieren. Während Nicklas Backstrom die Schuld an seinem Verstoß gegeben wurde, übernahm Simon Yates’ Team die Verantwortung dafür, dass es keine ärztliche Ausnahmebewilligung beantragt hatte. Daher wurde Simons Verstoß als „unabsichtlich” eingestuft.(3)

Es stimmt zwar, dass beide Athleten in hohem Maße wettbewerbsfähig waren, aber keiner von ihnen zeigte oder äußerte eine Leistungssteigerung während der Einnahme der Medikamente. Beide Männer nahmen sie jahrelang, um mit saisonalen Allergien zurechtzukommen, genau wie viele andere Nicht-Sportler*innen. Sind Antihistaminika also tatsächlich Doping?

Antihistaminpräparate und die Bedeutung von Doping

Laut der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) besteht „Doping in der Einnahme verschiedener Substanzen zur Verbesserung der Leistung durch Steigerung von Kraft, Aufmerksamkeit, Geschwindigkeit und Sauerstoffgehalt im Blut, trotz der damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die Gesundheit.”.(4) Das Internationale Olympische Komitee war die erste Organisation, die in den 1960er Jahren Athlet*innen auf Doping getestet hat. Damals wie heute bezieht sich Doping zumeist auf die Einnahme oder Injektion von Hormonpräparaten. Heutzutage werden Athlet*innen, die zum ersten Mal des Dopings überführt werden, in der Regel für eine gewisse Zeit von ihrem Sport ausgeschlossen. Werden sie mehrfach für schuldig befunden, können sie lebenslang gesperrt werden.

Was führt zum Verbot einer Substanz?

Während die Einnahme von leistungssteigernden Hormonen in der Welt des Sports ein offensichtliches Tabu zu sein scheint, gibt es in allen Ländern der Welt umfangreiche Listen verbotener Substanzen für Sportler*innen aller Alters- und Leistungsstufen. Die meisten Länder arbeiten zusammen, um eine weltweit akzeptierte Liste zu erstellen, die auf der Liste der Olympischen Komitees basiert. Wie kommt es also zum Verbot einer Substanz?

Laut Sport Integrity Australia ist eine Substanz verboten, wenn sie nachweislich einen unfairen Vorteil verschafft. Eine Substanz kann aber auch verboten werden, wenn der Verdacht besteht, dass sie eine solche Wirkung hat. Hier eine Zusammenfassung der Gründe, warum eine Substanz verboten werden kann (direkt von der Website zitiert):

  • Sie hat das Potenzial, die sportliche Leistung zu steigern, oder steigert sie tatsächlich
  • Sie hat das Potenzial, ein Risiko für die Gesundheit von Sportler*innen darzustellen, oder stellt ein tatsächliches Risiko für die Gesundheit von Sportler*innen dar
  • Sie verstößt gegen den Sportsgeist…
  • Einige Substanzen der „offenen” Kategorie befinden sich in der präklinischen oder klinischen Entwicklung. Andere Kategorien sind „Substanzen mit ähnlicher chemischer Struktur oder ähnlichen biologischen Wirkungen” wie verbotene Substanzen, auch wenn diese Substanzen nicht ausdrücklich genannt werden…

Es scheint, dass orale Antihistaminika öfter auf der Verbotsliste aufscheinen als Antihistaminpräparate zum Inhalieren (d. h. Nasensprays sind in Ordnung, Allergietabletten nicht). Sportler*innen können eine bestimmte Menge an Allergiemedikamenten inhalieren und trotzdem einen Drogentest bestehen. Die meisten oralen Medikamente enthalten jedoch einen so hohen Anteil an verbotenen Substanzen, dass sie sofort als „Dopingpille” eingestuft werden und die Sportler*innen durch ihre Einnahme gegen die Vorschriften verstoßen(5).

Die Wahrheit über Antihistaminika und Leistung

Da Antihistaminika verboten sind, muss das bedeuten, dass sie sich positiv auf die Leistung auswirken. Oder?

Nun, das muss noch abgeklärt werden. L.C. Montgomery und P.A. Deuster sind Wissenschaftler. Sie haben mindestens zwei Studien über die Einnahme von Antihistaminika und die Auswirkung auf die Leistung durchgeführt. Zunächst analysierten sie die Auswirkungen auf Muskelkraft und Ausdauer(6). Anschließend analysierten sie die aerobe und glykolytische Arbeitsleistung (anhaltende, hochintensive isometrische Muskelkontraktion).(7)

Die Ergebnisse?

„Es wurden keine Unterschiede bei den Leistungsindikatoren zwischen den Behandlungsbedingungen festgestellt…”

„Diese Studie zeigt, dass eine einmalige Verabreichung von [Antihistaminika]… die Muskelausdauer nicht signifikant beeinflusst…”

„Die Ergebnisse zeigen, dass eine einmalige Gabe von Antihistaminika die aerobe und glykolytische Leistung(sfähigkeit) weder beeinträchtigt noch verbessert…”

Im Grunde genommen gibt es keinen Beweis dafür, dass Antihistaminika die Leistung von Sportler*innen beeinflussen.

Andere Studien unabhängiger Forscher*innen unterstützen die Ergebnisse von Montgomery und Deuster. In seiner Analyse der bisherigen Forschung stellte P.A. Deuster jedoch eine interessante Lücke in den Daten fest: 

„Die einzigen Studien haben ergeben, dass die körperliche Leistungsfähigkeit bei Personen OHNE Symptome NICHT beeinflusst wird (weder positiv noch negativ). Es gibt jedoch nur wenige Untersuchungen über die Auswirkungen auf Menschen mit Symptomen.”(8)

Während also die Wissenschaft zeigt, dass Menschen, die keine saisonalen Allergien haben, auch nicht leistungsfähiger sind, wenn sie Antihistaminika einnehmen, könnten Menschen mit Allergien besser abschneiden. Deuster erklärt: „Es gibt nur wenige Untersuchungen über die Auswirkungen auf Menschen, die Symptome haben”.

Sind Antihistaminika gefährlich?

Alle, die schon einmal an einer Allergie gelitten haben, wissen, wie furchtbar ärgerlich das ist. Allergiemedikamente werden in zwei Kategorien eingeteilt: die ältere Generation und die neuere Generation. Die ältere Generation ist dafür bekannt, dass sie extreme Trägheit und Müdigkeit verursacht(9).  Vom Einschlafen beim Autofahren bis zur Überdosierung können rezeptfreie und verschriebene Allergiemedikamente gefährlich sein. Die erste Generation von Allergiemedikamenten ist gefährlicher als die zweite.(10)

Allergien und Laufen: Was das Antihistamin-Verbot im Leistungssport für dich bedeutet

Das Risiko von Schläfrigkeit und Müdigkeit überwiegt den potenziellen Nutzen von Antihistaminikamedikamenten. Aber das Laufen mit Allergien ist herausfordernd und frustrierend. Hier erfährst du alles Wissenswerte über die sichere Einnahme von Heuschnupfen-Medikamenten.

Du bist die haftbare Person

Wie wir im Fall des Eishockeyspielers Nicklas Backstrom gesehen haben, sind nach dem Prinzip der „verschuldensunabhängigen Haftung” des Welt-Anti-Doping-Codes die Sportler*innen für jede verbotene Substanz verantwortlich, auf die sie positiv getestet werden – unabhängig von den Ursachen auf Grund derer die Substanz im Körper der Athlet*innen nachgewiesen wurde (Sport Integrity Australia). Einige deiner Medikamente können Spuren verbotener Substanzen enthalten. Von „versehentlichem Doping” spricht man, wenn Sportler*innen eine verbotene Substanz einnehmen, ohne es zu merken. Das Versehen könnte dein eigenes sein oder das deines*r Ärzt*in. Aus diesem Grund ist Sorgfaltspflicht angesagt. 

Hier findest du eine Liste von Quellen; nutz die Links, um dich selbst noch eingehender zu informieren:

Ausnahmebewilligungen für therapeutische Zwecke (ATZ)

Das Traurigste an der Sperre des Radsportlers Simon Yates war, dass er berechtigt gewesen wäre, eine Ausnahmebewilligung für therapeutische Zwecke zu beantragen. Sein Team hat die Verantwortung für seine Sperre übernommen, weil es vergessen hat, sie in seinem Namen zu beantragen. Dennoch konnte er nicht am wichtigsten Radrennen des Jahres teilnehmen.

Wenn du ein*e Athlet*in mit schweren, nachweisbaren und gefährlichen Allergien bist, bist du berechtigt, eine bestimmte Menge an Antihistaminika einzunehmen. Dein*e Ärzt*in und du müssen dabei die Sportprotokolle deines Landes befolgen.(11)

Die Dosis macht das Gift

Die US-amerikanische Anti-Doping-Agentur (USADA) hat klare Vorgaben, was im amerikanischen Sport akzeptiert wird. Athlet*innen können innerhalb eines Tages bestimmte Mengen an Allergie-Nasenspray unbedenklich inhalieren. Die genaue Menge hängt von den Chemikalien im Medikament ab. Und diese Menge kann auch von anderen Medikamenten wie Diuretika beeinflusst werden.(12)

Versuche andere Behandlungsmethoden für Heuschnupfen und saisonale Allergien

Heuschnupfen beim Sport kann extrem hinderlich sein. Die juckende Nase, die tränenden Augen und das Niesen nehmen schon bei normalen täglichen Aktivitäten kein Ende. Leider ist der Frühling auch die Hauptzeit für das Training von Marathonläufer*innen. Hier sind einige Empfehlungen von Pouria zu nicht-medikamentösen Möglichkeiten, mit Sport und Allergien umzugehen.

Stärke dein Immunsystem: Indoor-/Outdoor-Workouts

Regelmäßige Bewegung im Freien kann ebenso wirksam sein wie eine Allergen-Immuntherapie.(14) Versuch dein Training abwechselnd drinnen und draußen zu absolvieren, wenn zu viele Aktivitäten im Freien während der Heuschnupfensaison zu beschwerlich sind. Dadurch wird dein Immunsystem allmählich gestärkt und ein sanfter Übergang zur Resilienz geschaffen.

Tipp von Expert*innen:

Wenn du beim Sport im Freien durch die Nase atmest, verringerst du die Anzahl der Allergene, die du einatmest.

Fazit

Leistungssportler*innen müssen eng mit Ärzt*innen und Sportverbänden zusammenarbeiten, um die angemessene Dosierung von Antihistaminika zu ermitteln. Obwohl es keine wissenschaftlichen Beweise dafür gibt, dass sich Antihistaminika auf die sportliche Leistung auswirken, sind  Sportwissenschaftler*innen der Meinung, dass es Grund gibt, sie weiter zu untersuchen. Daher ist bereits eine winzige Menge in der Blutbahn ein Grund für eine Disqualifikation. Alltagssportler*innen sollten sich darüber im Klaren sein, dass Allergiemedikamente viele Nebenwirkungen haben. Sprich immer mit einem*r Ärzt*in, wenn du verschreibungspflichtige Allergiemedikamente einnehmen willst. Egal was passiert, laufe einfach weiter! Der Sommer wird schneller da sein, als du denkst.

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Emily Stewart Im Alter von 15 Jahren besuchte Emily ihren ersten Step-Aerobic-Kurs und hat diesen Schritt nie bereut. 2011 beginnt sie ihre Fitnesskarriere als Bootcamp-Trainerin und heute unterrichtet sie eine Vielzahl von Fitnessdisziplinen. Wenn sie nicht gerade online oder persönlich Kurse gibt, schreibt sie mit Begeisterung über Sport und Bewegung. Alle Artikel von Emily Stewart anzeigen