Ultramarathon-Training: Tipps für den ersten 24-Stunden-Lauf

24-Stunden-Läufe sind leicht zu erklären und umso schwieriger zu bewältigen. Eine Strecke, ein Tag und so viele Runden wie möglich.
Bei diesem Ultramarathon-Event läuft man eine bestimmte Zeit lang und nicht eine bestimmte Distanz. Kann es bei anderen Ultraläufen passieren, dass man alleine und kilometerweit hinter dem*der führenden Athlet*in ist, ist man beim 24-Stunden-Lauf immer (wieder) von anderen Teilnehmer*innen umgeben. Auch hier gibt es die Möglichkeit, die 24 Stunden als Staffel zu absolvieren, der Goldstandard bleibt aber die vollen 24 Stunden durchzuziehen.
Um das zu schaffen, braucht es eine Kombi aus körperlicher und mentaler Stärke sowie ausgezeichneter technischer Vorbereitung. Überrundet zu werden und andere zu überrunden gehört dazu, Erholung ist relativ und geht es um Kalorien, dann ist der Tag des Rennens ein Cheat Day. Aber all das gehört zum Nervenkitzel dieses Ultramarathons.
Wie alles begann
In der Menschheitsgeschichte war Laufen die meiste Zeit nur dazu da, um zu überleben. Totale Erschöpfung wurde grundsätzlich vermieden. Im viktorianischen England fanden sich dann allerdings ein paar Pioniere des extremen Ausdauersports: Der Ärmelkanal wurde durchschwommen, um die Wette gehen fand immer mehr Fans und Radrennbahnen wurden tagelang am Stück befahren.
Heute sind extreme Ausdauerevents keine Seltenheit mehr. Dieses Jahr wurde der Rekord von 309,4 km für die während eines 24-Stunden-Laufs gelaufene Distanz aufgestellt. Im Juli lag der Rekord fürs Fahrradfahren bei unglaublichen 1026,2 km – das entspricht dem Weg von London nach Luxemburg und zurück!
24-Stunden-Läufe sind nicht mehr nur für die Elite. Erfahrene Athlet*innen laufen gemeinsam mit entschlossenen Neulingen. Technophile Sportler*innen, die ihre biometrischen Daten immer im Blick haben, messen sich mit Hobbyläufer*innen, die für die lockere Stimmung beim Rennen sorgen. In den letzten zehn Jahren ist die Teilnehmer*innenquote bei Ultraläufen um 345 % gestiegen, mit geschätzten 10.000 Events pro Jahr.[1] Gut möglich, dass auch in deiner Nähe ein 24-Stunden-Ultramarathon stattfindet!
Bin ich für einen Ultramarathon geeignet?
Lass dich von der Statur der Ultramarathonläufer*innen nicht abschrecken. Studien zeigen, dass Körpergröße und -fettanteil nicht die Hauptfaktoren für das erfolgreiche Absolvieren von Ultraläufen sind.[2][3] Vorhergegangene Rennzeiten sowie der Trainingsverlauf spielen eine größere Rolle bei der Laufperformance.
Wenn du denkst, dass du zu alt bist, solltest du dir diese Studien ansehen: Bei Ultramarathon-Events dominiert die Gruppe der 40-Jährigen[4][5][6][7], wobei die meisten Läufer*innen den ersten Ultralauf in ihren 30ern absolvieren.[8]
Frauen durchbrechen im Sport immer öfter Barrieren und sind bei Ultramarathons mittlerweile stark vertreten.[9] Bist du auf der Suche nach Inspiration, solltest du dir Courtney Dauwalters jüngste Erfolge einmal ansehen: Sie stellte 2021 den Streckenrekord für den Ultra-Trail du Mont-Blanc auf und absolvierte den Moab 240 (ein 243 Meilen langes Rennen) 10 Stunden vor allen anderen Mitbewerber*innen (egal welchen Geschlechts!).
Die Moral der Geschichte: Alter, Körperbau und Geschlecht sind nicht die ausschlaggebenden Variablen in dieser Disziplin. Das Training davor hat den größten Einfluss auf deine Performance beim 24-Stunden-Rennen.
Tipps für dein Ultramarathon-training
1. Trainingsumfang
Wie lange soll ich für einen 24-Stunden-Lauf trainieren? Die meisten Marathontrainingspläne dauern weniger als 6 Monate. Für 24-Stunden-Rennen ist dies jedoch ein absolutes Minimum. Die Vorbereitungszeit auf den Wettkampf hängt von deinem Trainingszustand ab. Es gibt keine Abkürzung zur Wettkampfvorbereitung. Für Laufanfänger*innen wird ein Training von 12 Monaten empfohlen. Bist du es bereits gewohnt, einen Halbmarathon oder sogar 40-50 km pro Woche zu laufen, ist es einfacher, zum Ultramarathon-Training überzugehen. Denk daran, dass das Training für einen 24-Stunden-Lauf bedeutet, sich an ein neues Tempo, eine neue Strategie, eine neue Ausrüstung, Nachtläufe und Schlafentzug zu gewöhnen – du solltest es also nicht überstürzen.
2. Trainingsintensität
Ein*e durchschnittliche*r Läufer*in braucht weniger als 10 Stunden für einen 100-km-Ultramarathon. Bei einem 24-Stunden-Lauf ist da noch nicht einmal die Hälfte der Strecke geschafft. Beim Training für diese Art des Ultralaufs liegt der Schwerpunkt auf dem Aufbau der aeroben Kapazität bei niedriger Intensität. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, besteht darin, auf Zeit zu laufen, nicht auf Distanz. Wenn das Ziel nicht 30 km, sondern 3 Stunden beträgt, verlagert sich der Schwerpunkt von der schnelleren Bewältigung der Strecke auf das Durchlaufen der Zeit mit weniger Anstrengung.
Ultramarathonläufer*innen setzen beim Training eher auf Volumen als auf Intensität.[10] Dennoch solltest du Trainingseinheiten mit hoher Intensität einplanen, um die aerobe Schwelle zu erhöhen und deine Fähigkeit, Milchsäure abzubauen, zu verbessern.
Tempoläufe (70-80 % der maximalen Herzfrequenz) von zunehmender Dauer sind eine gute Möglichkeit, dies zu erreichen. Kurze Intervalle über 80 % der maximalen Herzfrequenz werden empfohlen, um die maximale aerobe Kapazität zu erhöhen und die Herz- und Atemmuskulatur zu stärken. Letzteres ist besonders wichtig, da die Ermüdung der Atemmuskulatur die Leistung bei Ultramarathons stark vermindern kann.[11][12]
3. Der längste Trainingslauf
Wie lange sollte mein längster Trainingslauf sein? Im Gegensatz zu kürzeren Ausdauerdisziplinen ist es bei 24-Stunden-Läufen nicht empfehlenswert, 70 % der Renndistanz im Training zu laufen. Die Erholung von einem solchen Lauf wird deinen Trainingsplan wahrscheinlich durcheinander bringen und ist insgesamt kontraproduktiv. Setz dir ungefähr 6 Stunden als Ziel für deinen längsten Trainingslauf vor einem 24-Stunden-Rennen.[13]
Es ist wichtig, dass du dich in einem überschaubaren Tempo steigerst. Erhöh dein Trainingspensum allmählich (5-10 % pro Woche), bis du mehrere Stunden pro Woche trainierst – mit mindestens einem langen Lauf von mehreren Stunden.
Simuliere den Wettkampf mit aufeinanderfolgenden Läufen mit müden Beinen und achte darauf, gezielt für die Gegebenheiten beim Rennen (Terrain, Klima, Höhenprofil) zu trainieren. Bereitest du dich auf einen Berglauf in Kanada oder ein Laufbahnrennen in Australien vor?
Einen Monat vor dem Wettkampf solltest du dein Ultramarathon-Training reduzieren, um eine vollständige Erholung zu ermöglichen.
4. pace
Die Pace bei einem 24-Stunden-Lauf ist eine große Herausforderung. Die Ziellinie ist einen Tag entfernt, egal wie schnell man ist. Das Terrain, die Höhenlage und das Wetter sind oft wechselhaft. Läufer*innen aller Leistungsklassen befinden sich auf der gleichen Strecke, was die individuelle Tempostrategie zusätzlich erschwert.
Kein Wunder, dass Hobbyläufer*innen dazu neigen, zu schnell zu starten und ihr Tempo zu oft zu ändern. Untersuchungen zur 24-Stunden-Tempostrategie zeigen, dass die besten Läufer*innen mit einer niedrigeren relativen Intensität beginnen und ein gleichmäßigeres Tempo beibehalten.[14]
Halte während des Rennens das Konversationstempo (langsam genug, um sich zu unterhalten). Rechne damit, zwischendurch gehen zu müssen. Frühes und häufiges Gehen hilft dir dabei, dich auszuruhen und zu essen, während du gleichzeitig deine Kilometerzahl erhöhst. Informiere dich im Voraus über die Strecke, um deine Pace an das Streckenprofil anzupassen. Steile, unwegsame oder technische Abschnitte sind oft besser zu Fuß zu bewältigen, besonders wenn du müde bist.
Lauf im Ultramarathon-Training auf Zeit, nicht auf Distanz. Studien zeigen, dass der längste Trainingslauf vor einem Rennen der beste Indikator für die 24-Stunden-Leistung von Freizeitläufer*innen ist. Die Forscher*innen haben einen 60-km-Lauf vor dem Wettkampf – das ist ein 6-Stunden-Lauf im 6-Minuten-Tempo empfohlen.[13]
5. Schlafmangel und laufen bei nacht
Nachts im Dunkeln zu laufen und Schlafentzug sind die Hauptmerkmale des 24-Stunden-Rennens. Um in Schwung zu bleiben und die Kilometerleistung aufrechtzuerhalten, wird der Schlaf auf ein absolutes Minimum reduziert. Wenn man nicht am Polarkreis antritt, lassen sich die Stunden der Dunkelheit nicht vermeiden.
Das bedeutet, dass du die Schläfrigkeit, die aufgrund des zirkadianen Rhythmuses (Schlaf und Erholung bei Dunkelheit, Leistung bei Helligkeit) nach Mitternacht einsetzt, überwinden musst – zusätzlich zu den Herausforderungen der schlechten Lichtverhältnisse und der allgemeinen Müdigkeit. Erschwerend kommt hinzu, dass der Schlaf in der Zeit vor dem Rennen aufgrund von Aufregung und Logistik oft unruhig ist. Extreme Müdigkeit kann zu Verwirrung, Halluzinationen und verzögerter Reaktionszeit führen. Da die meisten Profis nur alle paar Stunden auf ein paar Minuten Schlaf setzen, steigt das Verletzungsrisiko enorm.
Um die Auswirkungen des Schlafmangels zu bekämpfen, solltest du vor dem Rennen ein „Schlafpolster“ anlegen. Das Ausdehnen der Schlafzeit vor dem Wettkampf und das Nickerchen am Tag sind beliebte Strategien bei Ultramarathonläufer*innen und verbessern unter Laborbedingungen nachweislich die Wachsamkeit und die muskuläre Ausdauer.[15][16][17]
Versuch in den Wochen vor dem Wettkampf um 1 bis 2 Stunden länger zu schlafen und leg tagsüber ein Nickerchen ein. Verbessere die Qualität deines Schlafs, indem du vor dem Schlafengehen auf Bildschirme und aufputschende Mittel verzichtest und jeden Tag zur gleichen Zeit schlafen gehst.
6. ernährung
Bei einem typischen 24-Stunden-Ultramarathon verbrennt ein*e 70 kg schwere*r Läufer*in etwa 10.000 Kalorien – das Vierfache der normalen Tageszufuhr.[18][19][20] Es ist unmöglich, während eines Rennens so viele Kalorien zu sich zu nehmen. Um das Defizit zu minimieren und die Energieversorgung zu optimieren, müssen die Läufer*innen effizient auftanken.
Im Vergleich zu kürzeren Ausdauerwettkämpfen erlaubt das Tempo eines 24-Stunden-Laufs viel Nahrungsaufnahme während des Rennens. Die meisten Kalorien für das Rennen stammen aus Kohlenhydraten, oft in Form von Gelen, Riegeln und Getränken.[21] Bei längeren Ultra-Ausdauerläufen wird Fett als Energiequelle jedoch immer wichtiger.[18][6] Halte eine Auswahl an herzhaften und süßen Speisen bereit, um Heißhungerattacken zu stillen.
Die Kohlenhydratzufuhr sollte zwischen 30 und 50 g pro Stunde liegen, die Fettzufuhr bei etwa 4 g pro Stunde und die Eiweißzufuhr zwischen 5 und 10 g pro Stunde.[18][22] Brezeln, Brötchen, Kekse, Bananen und sogar Pizza sind ideale Energielieferanten. Teste dein Essen im Training. Es ist wichtig, dass deine Kalorien gut verträglich sind. Erdnussbutter-Sandwiches können genauso gut funktionieren wie teure Energieriegel.
Koffein und Getränke auf Taurinbasis können dir helfen, wach zu bleiben und die Leistung zu steigern, aber verzichte 7 Tage vor dem Wettkampf auf aufputschende Mittel, um die Wirkung am Wettkampftag zu verstärken.[23] Koffein sollte erst später im Rennen oder in der Nacht eingenommen werden, wenn die Stimulation am nötigsten ist, und nur je nach individueller Verträglichkeit. Die neuesten Empfehlungen liegen bei moderaten Dosen von 50 mg pro Stunde. Koffeinhaltige Energiegels sind eine einfache Möglichkeit, den Verbrauch zu steuern.[21][18]
In der Vorbereitung auf das Rennen ist eine kohlenhydratreiche Ernährung wichtig, um eine negative Energiebilanz zu vermeiden und das Training zu unterstützen. Es wird empfohlen, in den Tagen vor dem Rennen täglich 10 Gramm Kohlenhydrate pro Kilogramm Körpergewicht zu sich zu nehmen, um sich mit Kohlenhydraten zu versorgen, wobei viele Athlet*innen allerdings Schwierigkeiten haben, diese Menge zu sich zu nehmen.[18][24]
7. HYDrierung
Die richtige Flüssigkeitszufuhr fördert die Verdauung, die Muskelkontraktion und die kognitiven Funktionen, was wiederum die Leistung verbessert. Theoretisch geht es darum, das zu ersetzen, was du durch Atmen, Schwitzen und Urinieren verlierst.
Es wird oft behauptet, dass ein Gewichtsverlust von nur 2 % durch Dehydrierung Gesundheit und Leistung beeinträchtigen kann. Spitzenausdauersportler*innen verlieren jedoch im Laufe eines Rennens häufig mehr als 3 % ihrer Körpermasse, obwohl sie bis zu 19 Liter trinken[25].
In der Praxis tauschen erfahrene Athlet*innen ein gewisses Maß an Dehydratation gegen Hyperhydratation (übermäßige Wasseraufnahme) aus, um Blähungen und Hyponatriämie (niedriger Blutsalzgehalt) zu vermeiden. Wettkampffinisher*innen haben ein besseres Gespür für ihren Flüssigkeitsbedarf und neigen dazu, am Tag vor dem Rennen weniger und während des Rennens mehr zu trinken als Nicht-Finisher*innen.[26][27][28]
Die neueste Empfehlung für die Flüssigkeitszufuhr lautet daher: „Trink bei Durst“. Dies sollte je nach Vorliebe und Umgebungsbedingungen zwischen 150 und 250 ml alle 20 Minuten betragen.[18] Heißes Wetter erhöht den Flüssigkeitsbedarf erheblich, während kaltes Wetter die Empfindlichkeit gegenüber Dehydrierung abschwächt.
Beachte, dass viele Sportgetränke Natrium nicht in ausreichender Konzentration enthalten (empfohlen sind 500-700 mg pro Liter). Gesalzene Snacks und Natriumpräparate können deine Aufnahme verbessern, während hypertonische Lösungen eine zuverlässige Versorgung mit Elektrolyten und Kohlenhydraten bieten.[18]
Geschmack und Verträglichkeit sind wichtige Faktoren, daher solltest du deine Trinkstrategie im Training testen, um Magen-Darm-Beschwerden am Wettkampftag zu vermeiden.
ein tag wie kein anderer
Ein 24-Stunden-Lauf ist ein Tag wie kein anderer. Der Schmerz und das Leiden sind nicht zu unterschätzen, aber dank Adrenalin und dem High bei erfolgreichem Absolvieren zahlt es sich aus. Mit der richtigen Herangehensweise kannst du diesen einzigartigen Ultramarathon bezwingen – und ihn auch genießen.
24-Stunden-Ausdauerläufe sind mit erheblichen Risiken verbunden. Lass dich von einem Sportprofi oder medizinischem Personal individuell beraten und stimm dein Training mit einer angemessenen Erholung ab.
***