Ultramarathon-Mentalität: So knackst du die 100 Meilen…

von Jamie Walker
Vor kurzem habe ich meinen ersten 100-Meilen-Ultramarathon – Born to Run 2014 – bei Los Olivos in der Nähe von Santa Barbara, Kalifornien, beendet.
Das war allerdings nicht mein erster Versuch, die 100-Meilen-Marke zu knacken.
Ich habe es davor schon zweimal probiert: Beim Pine to Palm 2012 und beim Born to Run 2013. In beiden Rennen kam ich dem Sieg schon recht nahe (mit 76 bzw. 80 Meilen), aber schaffte es nicht bis ins Ziel. Trotzdem vertieften diese Versuche meine Leidenschaft fürs Laufen nur noch mehr, bis ich schließlich schaffte, was ich mir vorgenommen hatte: 100 Meilen, von Anfang bis zum Ende. Als ich dieses Jahr wieder die Chance hatte, beim Born to Run mitzulaufen, ergriff ich sie und lief los. Und das habe ich auf meiner Reise über 100 Meilen gelernt:
Alles eine Frage des Willens
Egal wie hart du trainierst – ist dein Geist nicht auf die Herausforderung vorbereitet, wird es auch dein Körper nicht schaffen. Während des Trainings für meine ersten zwei Ultramarathon-Versuche kam ich an einen Punkt, wo mir mein Vorhaben unüberwindbar erschien. Ermüdung und Kraftlosigkeit trafen meinen Körper wie Wellen und mein Geist ging mit ihm unter. Fällst du einmal in dieses Loch, ist es schwierig, dich wieder herauszuhieven. Minuten fühlen sich an wie Stunden, eine Meile wie hunderte. Wie entkommt man diesem Teufelskreis? Nun ja, eine einfache Antwort gibt es nicht, aber ich habe gelernt, dass du dazu tief in dich gehen musst.
Zuversicht und Entschlossenheit bringen dich weit im Leben, vor allem, wenn du auf den Trails läufst. Wenn dein Körper in einem harten Rennen drauf und dran ist aufzugeben, kann dich nur noch dein Wille dazu bringen weiterzumachen. Denk daran, warum du dort bist, wo du bist, und was du dir vorgenommen hast. “Nur noch 20 Meilen.” Denk daran, wie hart du dafür gearbeitet hast. “Zehn!” Denk an all jene, die dir sagten, du würdest es nicht schaffen. “Zwei!” Und jetzt denk an alle, die an dich geglaubt und dich unterstützt haben. Lass dich von diesen positiven Gedanken leiten, hol dir Selbstbewusstsein, sag dir, dass du es tatsächlich schaffen kannst.
Als ich beim diesjährigen Born to Run langsamer wurde, erlaubte ich mir kein einziges Mal, in dieses Loch aus Verzweiflung und Niederlage zu fallen. Stattdessen dachte ich an alle Menschen, die mir beistanden – meine Freunde, meine Familie, meine Liebsten. Ich dachte daran, wie ich voller Stolz über die Ziellinie laufen wollte. Ich dachte an all meine Fehler in der Vergangenheit, ohne mich aber von ihnen entmutigen zu lassen. Obwohl mein Körper erschöpft war, halfen mir diese Gedanken, an mich zu glauben und weiter zu laufen. Und dann kam die Ziellinie – ich hatte es geschafft! Umgeben von meinen jubelnden Unterstützern durchströmte mich ein überwältigendes Siegesgefühl. Ich war stolz darauf, an meine Grenzen gegangen zu sein, selbst als ich dachte, ich könnte nicht mehr. Vor allem aber war ich stolz darauf, dass ich an mich geglaubt hatte, meinen Geist dazu gebracht hatte, mir weiterhin Kraft zu geben, obwohl mein Körper mich anflehte anzuhalten.
Wenn du also bei deinem nächsten Lauf das Gefühl hast, es geht nichts mehr, dann geh in dich. Finde deine Motivation, deinen Antrieb, und lass dich den Rest des Weges davon tragen. So kommst du oft weiter als du es für möglich gehalten hättest.
Hör auf deinen Körper
Als Läufer solltest du unbedingt auf deinen Körper hören. Beim Laufen vergessen wir gerne auf unseren Treibstoff. Wenn ich draußen laufe, konzentriere ich mich mental nur darauf. Ein Fuß vor den anderen, Schritt für Schritt. Bezüglich Flüssigkeit – trink einen Schluck, wenn dir danach ist.
Während meiner ersten zwei Versuche, 100 Meilen zu laufen, gab ich meinem Körper nicht, was er benötigte, und zahlte dann den Preis dafür. Nach unzähligen Kilometern, auf denen ich Energie verbraucht, aber nie nachgetankt hatte, musste mein Körper aufgeben.
Aber dieses Jahr hatte ich mich gut vorbereitet: voll bepackt mit Salztabletten, selbstgemachten Reisbällchen (mit Obst, Erdnussbutter und Kokosnuss darin) und begleitet von einem Team, das bereit war, mir und meinem Körper zu geben, was wir brauchten. Ich wollte siegreich aus diesem Rennen hervorgehen – und ich tat es auch. Sogar in den schlimmsten Momenten hielt ich mir vor Augen, dass ich nur so weit kommen würde, wie es mir mein Körper erlaubte. Also hörte ich auf ihn. Ich kaute Reisbällchen, Süßigkeiten und Elektrolyt-Snacks – und sogar Quesadillas (das perfekte Abendessen für unterwegs!). Ich wollte meinem Körper keine Chance geben, mich im Stich zu lassen, wenn ich ihn wirklich brauchte. Und er spielte mit.
Denk bei deinem nächsten Rennen also daran, auf deinen Körper zu achten. Trink genügend. Fülle deine Elektrolytspeicher wieder auf. Selbst wenn du meinst, du brauchst nichts zu essen – iss ein bisschen, am besten schnell verwertbare Kohlenhydrate.
Langsam und gleichmäßig
Einen meiner größten Fehler bei meinen ersten Versuchen, einen Ultramarathon zu laufen, machte ich gleich am Anfang. Nach all dem Training, dem Warten und der Vorbereitungszeit, wollte ich endlich loslegen. Also gab ich in den ersten Runden gleich alles, wollte der Welt (und mir selbst) beweisen, dass ich bereit war. Es ist zwar keine schlechte Idee, die Energie zu nützen, wenn du sie hast (vor allem in den kühleren Morgenstunden eines Ultramarathons), aber du schaufelst dir sozusagen dein eigenes Grab, wenn du gleich zu viel gibst. Obwohl ich am liebsten wieder sofort mein Bestes gegeben hätte, beschloss ich dieses Mal mit meinem Laufpartner, es langsamer angehen zu lassen und in den ersten Runden noch Energie für später aufzusparen – denn dann würden wir sie bitter nötig haben.
Und so war es auch. Je länger das Rennen dauerte, umso schwieriger wurde es. Den härtesten Punkt erreichten wir am Nachmittag. Wir waren zwar müde, aber nicht erschöpft, und unsere Planung gab uns die Zuversicht und Kraft, die härtesten und heißesten Teile des Rennens zu überstehen. Rückblickend muss ich sagen, dass ich die letzten paar Meilen niemals geschafft hätte, wäre ich gleich mit Vollgas losgestartet. Und ich bin so froh, dass wir uns rechtzeitig eine Strategie überlegt und einen Plan zurechtgelegt hatten.
Egal welche Distanz du laufen möchtest – diese Lektion gilt für alle. Es ist leicht, sich von seinen Gefühlen überwältigen zu lassen. Wir brauchen sie, um die Kraft aufzubringen, unsere Körper an ihre Grenzen zu treiben. Aber wenn du dich von deinen Gefühlen beherrschen lässt, hast du schon verloren. Also sei stattdessen lieber smart. Plane im Voraus und verliere das große Ganze nicht aus den Augen. Und dann, sobald dein Plan steht, verlass dich auf deine Gefühle und Leidenschaft, um dein Ziel zu erreichen.
Jamie Walker ist CEO und Mitgründerin von SweatGuru sowie Miteigentümerin von Fit Approach, einer bekannten Bootcamp-, Blog- und Online-Community aus San Francisco, deren Motto “Sweat Pink” mehr als 5.000 Mitglieder weltweit sowie 20.000 Besucher pro Monat zu einem gesünderen Lebensstil inspiriert.
***